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“I am not what I am”. Im Gegensatz zu allen anderen Hauptfiguren in Shakespeares “perhaps most perfect play” (Grantly Marshall) weiß der “most honest” Iago zu jeder Zeit, was gespielt wird! Der etwas tölpelhafte Roderigo, die zu unbedarft-gutgläubige Emilia, der frisch beförderte Cassio, der um seine Schwäche weiß (no drinking!) und natürlich ein im Liebesglück zerfließendes exotisches Paar, Desdemona und ihr Othello, rennen unaufhaltsam in ihr Schicksal, fein intrigant eingefädelt und orchestriert von einem durch und durch durchtriebenen “servant” (Iago), der in bester Tradition eines Macchiavelli alle buchstäblich an die Wand spielt! Eine Paraderolle für David Chittenden, der es versteht, jeden Muskel seines Gesichts in sein prononciertes perfides Spiel einzubinden. Iago spielt nicht, Iago lebt, and he means business! Und das auf einer Minibühne im Waffenhof der Burg zu Burghausen, die zu Zypern wird, zu Venedig, zu einem intimen Schlafzimmer, zum grandiosen backdrop für ein fulminant aufspielendes Ensemble der American Drama Group Munich auf ihrer Castle Tour durch fast ganz Westeuropa. Emma Nihill als unbeschwerte, reine Desdemona, die für ihre Liebe zu ihrem “moor” gegen alle Konventionen und väterliches Widerstreben alles auf eine Karte setzt, um am Ende, völlig verblüfft und ungläubig, von ihrem vor Eifersucht rasenden Gatten in ihrem Ehebett bestraft und erstickt wird, steht in ihrem Spiel den “Männern” in nichts nach! Völlig unschuldig wird sie – wie Roderigo, Cassio, Emilia, und letzlich Othello selbst – zum Spielball eines im Mark gedemütigten, rachsüchtigen Iago, der Roderigo und dem Publikum freimütig und in aller Deutlichkeit zu erkennen gibt, was ihn treibt: “In following him [i.e. Othello], I follow but myself […] for my particular end.” Seine “Mitspieler” degradiert er zu simplen Handlangern seines Plans. Seine Blicke aside sprechen eine allzu deutliche Sprache!

Dass der heroische General Othello (Spencer Lee Osborne), der gerade die Türken in die Flucht geschlagen hat, sich dermaßen in den Fäden der Spinne Iago verstrickt und sich geradezu ins Delirium eifersüchtelt, ist Shakespeares grandioser Sprachkunst und Menschenkenntnis zu verdanken. Dass es sich im elisabethanischen und jakobinischen Theater eigentlich nicht um vollständig durchpsy-chologisierte “Personen” handelt, kann man hier getrost vergessen. Othello ist ein Drama für die Ewigkeit, “one that resonates with particular force in today’s troubled world” (Marshall): Iago zum verdatterten Vater Brabantio: “an old black ram is topping your white ewe.” Dass dann das Wetter gegen Ende der Aufführung sich entschloss, bei aufkommendem Wind und Donnergrollen im Hintergrund dem ganzen Treiben noch die Krone aufzusetzen, mag Zufall gewesen sein… Für Othellos späte Erkenntnis “[that] I threw a pearl away […] I loved not wisely but too well” ist es jetzt zu spät! Der einzige “Ausweg” ist der eigene Tod.

“This is Shakespeare illuminated rather than interpreted”, schreibt Marshall, “a magnificent study of human frailty, a romance, a musical drama, at times even a comedy and surely one of the greatest tragedies ever staged.” Es ist das große Verdienst der American Drama Group durch die Reduktion auf das Wesentliche, den kongenialen Einsatz von live music (Thomas Johnson) und “simple staging” das Werk Shakespeares, den “bedeutendsten Dramatiker aller Zeiten” (Die ZEIT, 18.4. 2014) für den modernen Zuschauer des 21. Jahrhunderts erfahrbar, erlebbar und “genießbar” zu machen. Für die 38 Schülerinnen und Schüler der beiden Oberstufenkurse Q11 1e3 (Frau Schneider) und 1e4 (Herr Steffan) und die 6 LehrerInnen war dieser großartige Theaterabend ein unvergessliches, bereicherndes kulturelles Erlebnis, das zum Nachdenken anregte.

Es verwundert nicht, dass die Truppe der ADG weltweit auftritt, und in diesem Jahr die besondere Ehre erfuhr, das Stück im Rahmen der Platinum Jubilee Celebrations auf Balmoral Castle, sozusagen auf Einladung durch Queen Elizabeth II, aufzuführen. Direktor Paul Stebbings wurde bereits 2014 von “perhaps the most revered Monarch in the history of the world” (Marshall) der Orden “Member of the British Empire” verliehen “in recognition of his contribution to the global promotion of British Culture”.

StD Josef Steffan (1. Fachbereichsleiter Englisch)

Gymnasium Dingolfing